COVID-19 | Politique

Über Gewinner und Verlierer der Coronakrise

  • Publié le 11.06.2021

Sollen die Gewinner der Krise für ihren Einsatz bezahlen und wer interessiert sich überhaupt für die Verlierer? Kann eine Coronasteuer jemals gerecht sein? Und was nehmen wir mit von dieser (Corona-)Zeit? Das fragt sich Tom Wirion, Generaldirektor der Chambre des Métiers.


Im Frühling wurde die Debatte losgetreten: Die Gewinner der Pandemie sollten selektiv eine „Coronasteuer“ zahlen, um die zukünftigen Lasten gerechter zu verteilen und die nachfolgenden Generationen zu entlasten. Für die Presse bot dieses antizipierte Vorwahlgeplänkel seitdem Anlass, nach den Gewinnern der Krise zu suchen.

Doch wer sind die eigentlichen Gewinner der Pandemie in Luxemburg?

Sollen es etwa die von der Regierung deklarierten „systemrelevanten“ Betriebe bzw. Aktivitäten sein, die keine administrative Schließung erfahren mussten? Dann hätten vor allem die hiesigen Supermärkte in Zukunft eine selektive Coronasteuer zu verrichten – und eventuell einige wenige Betriebe des Lebensmittelhandwerks, die in Wohngebieten ansässig sind. Dabei haben gerade solche Betriebe es geschafft, trotz schwierigster Umstände wie Grenzschließungen und europaweite Lieferengpässe, eine ganze Bevölkerung mit allem Nötigen zu versorgen. Nicht zu reden von deren Personal, das in einer ungewissen epidemiologischen Lage furcht- und selbstlos jeden Tag seiner Arbeit nachgekommen ist und somit verhindert hat, dass das System zusammenbricht.

Oder soll es etwa die in Luxemburg ansässige Frachtfluggesellschaft sein, die in kürzester Zeit eine Luftbrücke mit China hergestellt hat, um dringend benötigtes medizinisches Material und Schutzausrüstungen herbeizuschaffen?

Ich frage mich, ob es gerecht ist, diesen Unternehmen höhere Bürden aufzuerlegen, obwohl (oder gerade, weil?) sie eine hervorragende und notwendige Arbeit geleistet haben und durch Umsatzsteigerungen ohnehin automatisch mehr Steuern an den Staat abführen. Mehr Umsatz bedeutet automatisch mehr Liquidität – und damit mehr Investitionen. So können in Zukunft viele Arbeitsplätze abgesichert bzw. ausgebaut werden.

Aber was ist eigentlich gerecht? Dass zu Beginn der Pandemie die Aktivitäten willkürlich in „systemrelevant“ und „nicht-systemrelevant“ eingeteilt wurden? Auf welcher Basis?

Neulich las ich in einer Kolumne der „Zeit“ (erschienen am 20. Mai 2021), dass die wahren Pandemiegewinner die globalen Milliardäre sind. Sie haben ihr Vermögen im Corona-Jahr um 60 % gesteigert! Das ist Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker – und zugleich ein Schlag ins Gesicht jedes Mittelstandsunternehmers, der gezwungen wurde, seine Aktivitäten temporär stillzulegen. Hierbei frage ich mich, ob der Staat Gerechtigkeit schaffen will, indem er eine 180-Grad-Wende in Sachen Steuerpolitik vollzieht und das Großkapital zusätzlich besteuert. Dementgegen stünde die Tatsache, dass derselbe Staat neulich einen Prozess vor dem Gericht der Europäischen Union gewonnen und so verhindert hat, dass Amazon Steuernachzahlungen von 250 Mio. € tätigen musste… Ein offenbar sehr heikles Thema in Luxemburg.

Während die Öffentlichkeit also krampfhaft nach etwaigen Gewinnern sucht, wird die Liste der Verlierer in Luxemburg immer länger. Und ich habe das Gefühl, dass es keinen so richtig interessiert.

Wer aber sind die Hauptverlierer der Pandemie?

Seitens der Wirtschaft ist das der Mittelstand: Gastronomiegewerbe, Einzelhandel, verschiedene Aktivitäten des Handwerks wie etwa Caterer, Berufe der „Soins à la personne“ oder auch die Kommunikationssparte. Trotz verschiedener Hilfsinstrumente des Staates befinden sich viele Betriebe in Schwierigkeiten. Ihre Liquidität ist weitgehend aufgebraucht und bei manchen geht es mittlerweile ums nackte Überleben. Dabei trifft es mit dem Mittelstand gerade das Rückgrat der Gesellschaft, das seit Jahrzehnten der Garant gegen Arbeitslosigkeit und auf sozialer Ebene tief mit dem Land verwurzelt ist. Sogar in dieser schweren Krise hat der Mittelstand alles unternommen, um die Arbeitnehmer in der Beschäftigung zu halten – im Gegensatz zu anderen Sparten, die inmitten der Pandemie Restrukturierungspläne durchgeboxt haben und jetzt schon wieder mit guten Quartalsergebnissen auftreten.

Auf Seiten der Gesellschaft sind es vor allem die Kinder und Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung ausgebremst wurden. Die wichtigen sozialen Kontakte wurden quasi auf Null heruntergefahren, genauso wie Sport und Bewegung. Anstelle, dass Kinder sich in Vereinen trafen, mit Gleichaltrigen auf Klassenfahrt gingen oder in einem Ferienlager die dringend benötigten ersten selbständigen Schritte außerhalb des Familiennestes beschritten, waren sie seit über einem Jahr zuhause „gefangen“ und der Gefahr ausgesetzt, sich immer mehr in einer virtuellen Scheinwelt zu verschanzen. Nicht zu reden von den schulischen Lücken der Kinder, bei denen die Eltern im Homeschooling nicht helfen konnten. Ich denke, das wahre Ausmaß des angerichteten Schadens wird erst allmählich an die Oberfläche treten.

Die Krise hat den Fortschritt der Digitalisierung in vielen Alltagssituationen zügig vorangebracht, was durchaus positiv sein kann. Nur bin ich der Meinung, dass man bei Kindern vorsichtig sein muss und sie behutsam und wohl dosiert an die neuen Technologien heranführen soll. In dieser immer komplexer werdenden Welt ist es außerdem besonders wichtig, dass Kinder nichtkognitive Fähigkeiten wie Gewissenhaftigkeit, Beharrlichkeit, Teamarbeit, soziale Umgangsformen und Engagement entwickeln. Und dies geht nun mal am besten im Präsenzunterricht. Hierbei ist für Luxemburg positiv hervorzuheben, dass die Regierung immer bestrebt war, die Schule am Laufen zu halten und den Distanzunterricht auf ein Minimum zu beschränken.

Die Kinder von heute sind die tragenden Eckpfeiler der Gesellschaft von morgen. Die Digitalisierung und die zunehmend aufkommende künstliche Intelligenz in allen Lebensbereichen werden die Welt radikal verändern. Sie bergen sicherlich viele neue Gelegenheiten, Märkte und Arbeitsplätze, die es heute noch nicht gibt. Eins ist jedoch auch sicher: Die einfachen Arbeitsplätze werden wegfallen und der Roboter wird einige Arbeitsschritte des Menschen übernehmen. Der Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern wird also in Zukunft rasant steigen. Gerade deswegen müssen jetzt, mehr denn je, alle Kräfte gebündelt werden, um ein Bildungssystem in Luxemburg zu entwickeln – und zwar eines, das auf globale Sicht seinesgleichen sucht, mit einer klaren Integration der neuen Technologien, aber auch mit einer Stärkung menschlicher „Softskills“.

Im Hinblick auf die zu bewältigende Klimakrise ist es wichtig, die richtigen Lehren aus der Pandemie zu ziehen.

Die allerwichtigste Lehre muss eine gemäßigte offizielle Kommunikation sein, die Angst und Panik innerhalb der Bevölkerung vermeidet. Im Nachhinein denke ich, dass es nicht sinnvoll war, tagtäglich Infektions- oder Inzidenzzahlen gebetsmühlenartig über alle Medienkanäle zu wiederholen oder die Bürger mit jeder neuen potenziell gefährlichen Virusvariante „verrückt“ zu machen. Mit dem zügig voranschreitenden Impffortschritt und der stetigen Minderung der Infektions- und Patientenzahlen ist es jetzt an der Zeit, wieder zur Normalität zurückzukehren, auch in der Berichterstattung.

Um die Klimakrise zu meistern, brauchen wir Zusammenhalt, Einigkeit und positive Ansätze. Es wäre der falsche Weg, die Bürger und Betriebe zu bevormunden. Man sollte ihnen nicht vorgeben, was richtig und was falsch ist, geschweige denn, sie durch Verbote oder massive Steuerhöhungen in eine Ecke drängen – vor allen Dingen dann nicht, wenn keine kostengünstigen Alternativen zur Verfügung stehen. Wir sollten von Panikmache absehen, auf Transparenz setzen und nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Ein Beispiel hierfür wäre die Elektromobilität: Es ist jedem klar, dass durch sie der Kohlendioxidausstoß drastisch verringert und somit die Erderwärmung gedrosselt werden kann – solang der benötigte Strom nicht aus fossilen Energiequellen erzeugt wird. Dass die Elektromobilität jedoch nicht ohne gewaltigen Ressourcenabbau (z.B. Lithium) vonstattengehen wird, dass es zu neuen Abhängigkeiten, geopolitischen Spannungen und sogar zu negativen Umwelteinflüssen kommen kann, darf nicht totgeschwiegen werden. Die Politik sollte hier mit offenen Karten spielen, das Pro und Kontra gegeneinander abwägen und den Menschen die Bestrebungen aufzeichnen, wie wir negative Effekte reduzieren oder gar eliminieren können. Sie ist auch gut beraten, nicht nur auf ein Steckenpferd zu setzen, sondern eine technologieoffene Vorgehensweise zu betreiben. Nur eine weit verbreitete Akzeptanz und sinnvolle Maßnahmen verhelfen der Energiewende zum Erfolg.

In diesem Kontext sind es gerade die Verlierer der Coronapandemie – der Mittelstand und die nachfolgende Generation –, denen eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Klimakrise zukommen wird: Ohne Handwerksbetriebe, ohne gut ausgebildete Arbeitskräfte gibt es keine Energiewende.

Und deswegen möchte ich die anfangs erwähnte Debatte zur Coronasteuer komplett umorientieren. Ich fordere, dass zuallererst die lokale Wirtschaftsstruktur und Gesellschaft gestärkt werden, über einen soliden Klimapakt für den Mittelstand und über konsequente Investitionen in das (Aus-)Bildungssystem des Landes.