Wem nutzt der Nutri-Score?

  • Publié le 25.03.2024

Der Nutri-Score ist ein Bewertungssystem von Lebensmitteln, das Verbrauchern beim Einkauf helfen soll, die richtigen Entscheidungen für eine gesündere und ausgewogenere Ernährung zu treffen. Bei kritischer Betrachtung drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass dieses System vor allem für industriell hochverarbeitete Lebensmittel entwickelt wurde und handwerklich hergestellte, natürlichere Produkte benachteiligt werden. Das Bewusstsein für nachhaltig erzeugte, regionale Lebensmittel wird dadurch nicht gestärkt, im Gegenteil. 


Eine ausgewogene Grillparty 

Nehmen wir einmal an, ein Konsument möchte den heutigen Trends folgen und eine «ernährungsbewusste» Grillparty veranstalten. Als Orientierungshilfe für die Auswahl seiner Lebensmittel beim Einkauf wählt er den Nutri-Score, den er aufgrund der einfachen Farbskala, von rot (E) bis grün (A), für leicht verständlich hält. Für das Grillfleisch entscheidet er sich für bereits fertig verpackte Fleisch- und Wurstportionen (mit Nutri-Score C) eines grossen internationalen Konzerns aus dem Fleischregal eines Supermarktes, da die nicht vorverpackte Ware, die er an der Theke des lokalen Metzgers bekommen könnte, keinen Nutri-Score hat. 

Als Vorspeise greift er zu kleinen, industriell hergestellten Tiefkühlpizzen und nicht zur Holzofenpizza von seinem Lieblingsitaliener um die Ecke, denn diese ist nicht mit dem Nutri-Score gekennzeichnet. 

Dem Konsumenten ist nicht bekannt, dass unverarbeitete Lebensmittel ohne Nährwertkennzeichnung laut Nutri-Score-Regelung nicht bewertet werden können und wählt deswegen als Gemüsebeilage nicht die frisch verpackten Maiskolben, sondern die vorgekochten und vakuumverpackten Maiskolben, da letztere nämlich mit grünem Nutri-Score-Logo versehen sind. 

Weiter geht es zum Brotregal, wo sich unser Konsument für das vorverpackte Hochproteinbrot (mit der Nutri-Score-Bewertung A) und gegen das Brot vom lokalen Bäcker ohne Nutri-Score sowie gegen alle anderen Weissbrote oder Baguettes entscheidet, die mit C oder D deutlich schlechter bewertet sind. 

Beim Kartoffelsalat kommt er ins Grübeln: Soll er den frischen Kartoffelsalat von der Theke des Feinkosthändlers ohne Nutri-Score nehmen, den Fertig-Kartoffelsalat aus dem Supermarkt mit der Note C, oder doch lieber die Pommes frites mit der besonders guten Note A? 

Er wählt die Pommes frites und begeht damit einen weiteren Fehler bei der Anwendung des Nutri-Scores, da der Nutri-Score zum einen nur Produkte der gleichen Kategorie vergleichen kann (z.B. Salat mit Salat, Pizza mit Pizza) und zum anderen nachfolgende Zubereitungsschritte (wie z.B. das Frittieren) nicht berücksichtigt. 

Beim Nachtisch entscheidet er sich für einen leckeren Pudding, der mit Proteinen und Süßstoffen angereichert ist. Die Frage, ob der Verzehr von Additiven und Süßstoffen der Gesundheit zuträglich ist, beschäftigt unseren Konsumenten sehr, aber der Nutri-Score bietet ihm hier leider keine Entscheidungshilfe, da die Anzahl und die Art der verwendeten Zusatz- und Ersatzstoffe (mit Ausnahme der Süßstoffe in Getränken) bei der Einstufung nicht berücksichtigt werden. 

Unser Konsument ist mit der Auswahl seiner Lebensmittel fest davon überzeugt, eine ausgewogene Grillparty veranstalten zu können und wird deshalb in Zukunft vermehrt die gleichen Lebensmittel kaufen. Dabei ist ihm nicht bewusst, dass ein regelmäßiger und intensiver Verzehr der gleichen Lebensmittel, auch wenn sie einen grünen Nutri-Score haben, keineswegs eine gesunde und ausgewogene Ernährung darstellt. 

Ein Bewertungssystem mit grossen Schwächen 

Das oben beschriebene Beispiel ist natürlich plakativ dargestellt, um die Schwachstellen der Nutri-Score-Kennzeichnung von Lebensmitteln aufzuzeigen. Eine Neufassung der Nutzungsbedingungen, die am 5. März in Kraft getreten ist, soll einige Schwächen der alten Berechnungsgrundlage beheben und die Möglichkeit eröffnen, auch nicht vorverpackte Lebensmittel mit dem Nutri-Score zu kennzeichnen, allerdings nur im Rahmen von Pilotprojekten, die vom Minister gesondert genehmigt werden müssen. Doch auch in dieser Neufassung werden der Verarbeitungsgrad der Lebensmittel und die Menge und Art der verwendeten Zusatz- und Ersatzstoffe (mit Ausnahme von Süßstoffen in Getränken) bei der Einstufung nicht berücksichtigt. Wenn sich ein Unternehmen für das Nutri-Score-System entscheidet, ist es ausserdem verpflichtet, das Nutri-Score-Logo auf allen Produkten anzuwenden, die es unter einer Marke in Verkehr bringt, bzw. auf allen nicht vorverpackten Lebensmitteln, die es in dem betreffenden Betrieb in Verkehr bringt. Ob sich kleine und mittlere Handwerksbetriebe, die oft ihr gesamtes Produktportfolio unter einer Marke anbieten, den Nutri-Score überhaupt leisten können oder wollen, ist aufgrund der Investitionen u.a. für die Lebensmittelanalysen und aufgrund des zusätzlichen administrativen Aufwands mehr als zweifelhaft. 

Bei kritischer Betrachtung des Nutri-Score-Systems drängt sich daher der Verdacht auf, dass dieses System vor allem für industriell hochverarbeitete Lebensmittel entwickelt wurde und handwerklich hergestellte, natürlichere Produkte benachteiligt werden. So warnt die Ampelbewertung zwar vor «Zucker- und Fettbomben», nicht aber vor Zusatz- und Ersatzstoffen (außer bei Getränken). 

Der Nutri-Score ist kein Nachhaltigkeitslabel und erhebt auch nicht den Anspruch, ein solches zu sein. Es stellt sich jedoch die berechtigte Frage, ob ein Label, das nicht auf die Frage eingeht, wie natürlich oder künstlich die Inhaltsstoffe eines Produktes sind, dem heutigen Wunsch nach nachhaltig produzierten Lebensmitteln gerecht wird. 

Die Chambre des Métiers hat am 26. Januar 2024 eine Stellungnahme zum Entwurf der großherzoglichen Verordnung «Projet de réglement grand-ducal portant modification du règlement grand-ducal du 7 mai 2021 relatif à l’utilisation du logo Nutri-Score» abgegeben. Diese Stellungnahme kann unter folgendem Link eingesehen werden: Nutri-Score 2024